Wenn am Sonnabend um halb zehn abends das Telefon klingelte, lachten die Kinder, es konnte nur einer sein: Kantor Rainald Hoffmann mit der gleichlautenden Frage: „Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr morgen zum Gottesdienst geht? Würdest du bitte lesen?“ Natürlich las Eva-Maria Philipps. Sie teilte auch das Abendmahl aus und sang viele Jahre mit ihrer hellen, klaren Stimme in der Kantorei. Bis zu ihrem 80. Lebensjahr, dann mochten die Beine nicht mehr so lange stehen. „Und es ist doch schöner, im Vollen rauszugehen, als rausgeschmissen zu werden“, erzählt Frau Philipps lachend.
Ich staune, was diese im August 99-jährige muntere Dame aus ihrem Leben berichten kann. Leider zu viel für diesen Artikel, daher kann ich ein persönliches Gespräch mit ihr nur empfehlen. Eva-Maria Philipps wuchs in Ratzeburg in einem Mehrgenerationenhaus auf. Das Familienleben, Rücksichtnahme und ein achtsamer Blick auf andere Menschen begleiteten Frau Philipps von Geburt an. Sie erzählt, dass sie mit schönen Stimmen um sich herum aufwuchs und die Musik liebt. Zudem sei sie von Haus aus lutherisch, sodass sie ganz selbstverständlich nach ihrem Umzug nach Bergedorf 1964 eine Gemeinde suchte: St. Petri und Pauli.
Die Musik und der Glauben begleiten Frau Philipps bis heute – es wundert nicht, dass ihre Kinder Pastor und Sängerin geworden sind. „Höhen und Tiefen gibt es in jeder Familie, aber wir sind hier in unserem Zuhause restlos glücklich gewesen“, erzählt sie. Frau Philipps hat eine so positive Ausstrahlung und Sicht auf ihr Leben, welches allein auf Grund des Erlebens eines Krieges in der Jugend sicherlich oft nicht leicht gewesen ist – bewundernswert. Zudem ist sie mit einer Hüft-Dysplasie zur Welt gekommen, was ihr zeitlebens zu schaffen gemacht hat. Heute wäre das fantastisch behandelbar, erzählt Frau Philipps, damals noch nicht. Sie erinnert sich haargenau an die Gipsverbände, das ewige Liegen und die Ärzte. Auch wenn sie die Dysplasie bis heute spürt, sieht sie die neun Stufen bis zur Haustür und dann nochmals das Treppenhaus in den zweiten Stock hinauf als tägliches Training. „Hinken musste ich immer ein bisschen, aber ich habe mir geschworen, deswegen keine grämige Person zu werden“, das ist ihr gelungen.
Nach dem Abitur empfahl ihr eine Freundin, Gewerbelehrerin zu werden. „Ich bin doch nicht praktisch veranlagt!“, so ihre spontane Reaktion. „Das kann man lernen.“, die Antwort. 1949 begann sie das Studium der Hauswirtschaft in Hamburg. Trotz der Tatsache, dass viele in ungefärbter Militärkleidung und mit Kriegsverletzungen erschienen und es keine Bücher gab, seien sie alle erfüllt von dem Glück gewesen, studieren zu dürfen.
Nach der Hälfte des Studiums fragte eine Freundin: „Merkst du gar nicht, dass Karl Philipps immer in deiner Nähe ist?“ 1954 heirateten die beiden, nachdem Frau Philipps 1953 ihren Dienst an der Berufsschule Bergedorf begonnen hatte Zunächst als Fräulein Gramzow, später als Frau Philipps, genannt „Philippchen“. Das Ehrenamt kam nie zu kurz, sie übernahm den Mütterkreis unserer Gemeinde und war in vielerlei Bereichen aktiv. Nicht nur Rainald Hoffmann wusste, dass er Frau Philipps immer anrufen und sich auf sie verlassen konnte. Inzwischen fällt der Gang zur Kirche schwerer, seit über acht Jahren geht sie ihn alleine, trotzdem bleibt sie dran. Und auch bei anderen Themen: „KI ist mir ein bisschen unheimlich“, erzählt sie – mir auch. Ich wünsche dieser junggebliebenen Dame Gottes Segen!
Johanna Kilzer